Produkthaftung in Europa

Die Handbuch Experten fassen die Kernpunkte der europäischen Produkthaftungsrichtlinie zusammen.

6 Min. Lesezeit

Harmonisierung der Produkthaftung

Zur Harmonisierung der gesetzlichen Regelungen haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Produkthaftungsrichtlinie jeweils in nationales Recht umgesetzt. Die Produkthaftung wird als verschuldensunabhängige Haftung für Folgeschäden definiert, die durch Fehler an einem Produkt verursacht wurden. Dabei muss der Wert des entstandenen Folgeschadens ersetzt werden. Strafzahlungen wie in den USA dürfen nicht verlangt werden.

Generell werden 3 Arten der Produkthaftung unterschieden:

Vertragliche Haftung
Die Grundlage stellt z. B. ein Kaufvertrag dar. Entsteht ein Schaden durch einen Fehler am Produkt, so regelt in den meisten europäischen Mitgliedsstaaten das Vertragsrecht die Haftungspflicht.
Deliktische Haftung
Hierbei wird keine vertragliche Übereinkunft zwischen Hersteller und Geschädigtem vorausgesetzt. Der Hersteller haftet, wenn ein Schaden aus einer unerlaubten Handlung seinerseits entsteht. Ursache hierfür kann z. B. das Unterlassen geeigneter Qualitätskontrollen sein, was zu einer fehlerhaften Produktion geführt hat.
Gefährdungshaftung
Die EG-Richtlinie regelt hier, dass die Haftung verschuldensunabhängig ist, d. h. sie ist nicht an menschliches Fehlverhalten gebunden. Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die vernünftigerweise bei bestimmungsgemäßer Verwendung von einem durchschnittlichen Verbraucher erwartet werden kann.

Die EG-Richtlinie dient in erster Linie dem Verbraucherschutz. Dies ist vor allem daran erkennbar, dass sie eine Einschränkung oder Aufhebung der Haftung für Produktfehler ausdrücklich ausschließt.

Fehlerarten und haftende Personenkreise

Die Voraussetzung für die Produkthaftung ist, dass ein Produkt bereits bei Inverkehrbringen fehlerhaft ist. Dabei reicht es allerdings nicht aus, dass später eine verbesserte Version des Produkts in Verkehr gebracht wurde.

Ein Produkt ist immer dann fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die vernünftigerweise erwartet werden kann, aufgrund:

der Darbietung
z. B. Werbung und mündliche Vertriebsaussagen.
der Verwendung
Die bestimmungsgemäße Verwendung unter Einbeziehung des vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlgebrauchs.
des Zeitpunkts des Inverkehrbringens
Vor allem in Bezug auf den damaligen Stand der Wissenschaft und Technik.

In der Rechtsprechung haben sich folgende Fallgruppen als relevant abgezeichnet:

  • Konstruktionsfehler, d. h. Fehler an allen Produkten einer Serie.
  • Produktionsfehler, wobei sogenannte Ausreißer ausgenommen sind.
  • Instruktionsfehler, dies betrifft besonders Mängel an der Anleitung.
  • Produktbeobachtung, auch als Marktbeobachtungspflicht bekannt.
  • Organisationsverantwortung, schließt Qualitätskontrollen und Rückrufpflichten ein.

Des Weiteren hat die EG-Richtlinie den Herstellerbegriff erweitert. Folgende Personenkreise kommen deshalb als Haftende in Frage:

Hersteller des Endprodukts
Gemeint ist nicht nur der Hersteller im engeren Sinne, sondern auch "Assembler" oder Lizenznehmer.
Hersteller eines Grundstoffs oder Teilprodukts
Somit können auch Lieferanten für fehlerhafte Zukaufteile direkt haftbar gemacht werden.
"Quasi-Hersteller"
Indem man sich als Hersteller ausgibt, z. B. durch Anbringen des eigenen Namens, Waren- oder Markenzeichens auf dem Produkt.
Importeur
Wird das Produkt aus einem Drittland in die EU eingeführt, übernimmt der Importeur die Pflichten des Herstellers.
Händler
Kann der Händler dem Geschädigten nicht innerhalb eines Monats den Namen des Herstellers oder Importeurs mitteilen, haftet der Händler.

Für die genannten Fehlergruppen können mehrere Beteiligte der Produktionskette verantwortlich gemacht werden, die dann gesamtschuldnerisch für den Schaden haften.

Beispielsweise können Hersteller und Lieferant aufgrund eines fehlerhaften Zukaufteils gemeinsam haftbar gemacht werden.
Die Anleitung kann z. B. den Lieferanten entlasten, wenn er damit nachweisen kann, dass der Hersteller das fehlerhafte Endprodukt verschuldet hat. Nicht nur deshalb ist eine vollständige und verständliche Anleitung notwendig.

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Wann ist ein Haftungsausschluss möglich?

Die Haftung kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dennoch ist es möglich, dass der Hersteller unter bestimmten Voraussetzungen nicht haftbar gemacht werden kann. Laut der EG-Richtlinie sind folgende Umstände als Entlastung möglich:

Fehlendes Inverkehrbringen
Eine Haftung für beispielsweise gestohlene Produkte ist ausgeschlossen.
Fehlerfrei bei Inverkehrbringen
Erst nach Inverkehrbringen ist der Fehler entstanden, z. B. durch unsachgemäße Reparatur. Der Nachweis hierfür kann unter anderem durch eine lückenlose Dokumentation aller Qualitätssicherungsmaßnahmen erfolgen.
Nicht für den Verkauf bestimmt (Eigenbedarf)
Dies ist nur möglich, wenn das Produkt nicht zu einem wirtschaftlichen Zweck hergestellt wurde und nicht im Rahmen der beruflichen Tätigkeit hergestellt oder vertrieben wurde. Nur wenn beides zutreffend ist, handelt es sich um Eigenbedarf.
Produktion nach gesetzlichen Anforderungen
Ist das Beachten von Rechtsvorschriften für die Entstehung des Fehlers verantwortlich, kann der Hersteller nicht haftbar gemacht werden. Hiervon ausgenommen sind DIN-Normen und VDE‑Vorschriften.
Stand von Wissenschaft und Technik
Konnte der Fehler aufgrund des Wissenstands zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht vorhergesehen werden, ist der Hersteller nicht haftbar. Dies entbindet den Hersteller jedoch nicht von der Pflicht der Marktbeobachtung oder des Rückrufs. Zudem trifft diese Regelung nicht auf alle EU-Mitgliedsstaaten zu.
Fehlerhafte Konstruktion des Endprodukts
Zulieferer können nicht haftbar gemacht werden, wenn sie aufgrund der Angaben des Herstellers ein fehlerhaftes Produkt hergestellt haben. Auch wenn das gelieferte Teilprodukt fehlerfrei hergestellt wurde und erst durch Konstruktionsfehler des Herstellers zu einem fehlerhaften Endprodukt geführt hat, ist der Lieferant nicht haftbar.
Mitverschulden des Geschädigten
Ebenfalls nicht haftbar ist der Hersteller bei vorsätzlichem oder fahrlässigem Mitverschulden des Geschädigten, z. B. bei Missbrauch des Produkts oder dem Ignorieren deutlicher Warnhinweise.

In allen Fällen liegt die Beweislast beim Beklagten. Der Geschädigte muss lediglich beweisen, dass ein Fehler am Produkt vorgelegen hat, welcher zum Schaden geführt hat. Die Ansprüche verjähren 3 Jahre nachdem der Geschädigte Kenntnis des Fehlers und des Haftenden erhalten hat. 10 Jahre nach Inverkehrbringen des Produkts erlöschen die Ansprüche.

Über die EG-Richtlinie werden nur Sachschäden ab 500 Euro geregelt. Für immaterielle Schäden wie Schmerzensgeld gilt weiterhin nationales Recht.

Risiken erkennen und vermeiden

Hersteller, Importeure und Händler sollten die Risiken eines Fehlers an Produkten gezielt mindern und vermeiden. Denn mit Produkthaftungsfällen kommen nicht nur direkte Kosten auf Unternehmen zu, sie können auch dem Image schwer schaden und zukünftige Gewinneinbußen zur Folge haben. Nicht nur der Geschädigte wird sich negativ über das Produkt oder das Unternehmen äußern.

Oft gehen Produktmängel auch durch die Presse und werden von den Medien zum Teil übertrieben dargestellt.
Ein aktuelles Beispiel ist das "explodierende Smartphone". Dass die Smartphones lediglich überhitzt sind und sich keineswegs in kleine Bomben verwandelt haben, spielt dabei keine Rolle. Das Risiko eines Imageschadens für den Hersteller bleibt.
Als weiteres Beispiel kann auch der "Abgasskandal" genannt werden, der ebenfalls das Risiko eines schweren Imageschadens für den Automobilhersteller mit sich bringt.

Die bereits erwähnten Fallgruppen bieten einen guten Ausgangspunkt, um Produktfehler zu vermeiden.

Fehlerhafte oder mangelnde Instruktionen

Die Fehleranfälligkeit in diesen Bereichen kann sowohl durch einheitliche Marketing- und Vertriebsstrukturen als auch durch die Erstellung einer zielgruppengerechten Anleitung reduziert werden. Bei der Darstellung eines Produkts in der Werbung oder bei Verkaufsgesprächen ist es empfehlenswert, sich auf wahrheitsgetreue und rein leistungsbezogene Aussagen zu beschränken. Schwächen des Produkts sollten dabei nicht außer Acht gelassen werden. Vor allem in der Anleitung müssen sowohl die bestimmungsgemäße Verwendung als auch der vernünftigerweise vorhersehbare Fehlgebrauch klar definiert sein. Alle Gefahren, die während der bestimmungsgemäßen Verwendung des Produkts auftreten können, müssen dem Benutzer deutlich aufgezeigt werden.

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Nach Inverkehrbringen

Die Produktbeobachtungspflicht, auch als Marktbeobachtungspflicht bekannt, darf nach dem Verkaufsstart nicht vernachlässigt werden. Erhält der Hersteller Kenntnis von Gefahren, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht ersichtlich waren, muss er aktiv werden. Möglicherweise genügt es, gezielte Warnungen an die Kunden auszusprechen. Dies kann, je nach Schwere der möglichen Folgen, auch ein sofortiges Stilllegen der Maschine erfordern, bis das Risiko durch Umbau oder Anpassung der Anleitung ausreichend gemindert ist.

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