Was hat das Marketing in der Technischen Dokumentation verloren?

Technische Redakteure kennen das vielleicht, da kommt jemand aus der Marketing-Abteilung und möchte unbedingt seinen Satz in voller Länge in der Betriebsanleitung abgedruckt wissen.

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Ein neuer Kollege…

Ein neuer Redakteur fängt bei einer Firma an und hat nach seiner Einarbeitung die Aufgabe, die vorhandene - natürlich schon gute - Dokumentation noch besser zu machen. Voller Elan setzt er sich an diesen Job.

Er überarbeitet und kürzt einige Texte und legt die "neue, noch bessere" Version seinem Chef vor.

Dieser muss noch einige Inhalte aus der Marketing-Abteilung einfügen und tut das einfach per "copy & paste". Er gibt die ergänzte Dokumentation dem Redakteur zurück.

Dem fallen fast die Augen aus: die eingefügten Texte widersprechen allem, was er jemals zur Technischen Dokumentation gelernt hat.

Was unterscheidet Technische von Marketing-Texten?

KriteriumTechnische DokumentationMarketing Texte
Satzlängeso kurz wie möglich, so lang wie nötigmöglichst anschaulich und blumig erklärt, gerne in längeren Sätzen
ZielBenutzer Schritt-für-Schritt zum richtigen Handeln anleitenPositive Emotionen zum Produkt wecken
Stilnüchtern-sachlichausschweifend, emotional
Synonymestreng verbotenfür lebendige Texte gern genutzt
Umfanginterne und externe Technische Dokumentationv. a. externe Marketing- und Werbeunterlagen
Zielgruppeintern und extern, exakt definiertdiverse Zielgruppen

Die Redaktion zwischen den Stühlen

Jetzt hat der neue Kollege aus der Redaktion eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten: in den Kampf ziehen oder aufgeben.

Für eine gute Dokumentation, die er ja "nur noch besser" machen sollte, bleibt nur noch ersteres übrig: Den vorgegebenen Text so überarbeiten, dass er zum Rest passt. Das kann auch bedeuten, die Abstimmung mit der Marketing-Abteilung zu suchen.

Gut beraten ist jeder Redakteur, wenn er sich vorab Gedanken gemacht und bereits aufgeschrieben hat, wie der Text idealerweise lauten könnte - und dann "nur noch" diesen mit den entsprechenden Fachabteilungen bespricht und ggf. kleine Änderungen vornehmen muss.

Also setzt sich der neue Kollege nochmal hin, seufzt laut und beginnt dann, die einfach hineinkopierten Passagen nach den selben Gesichtspunkten zu überarbeiten, die er schon für die restliche Dokumentation angewendet hat.

Technische Dokumentation also doch Marketing?

In einer idealisierten Arbeitswelt wird dieser Textentwurf marginal angepasst und dann in die Technische Dokumentation integriert - und der Produktnutzer merkt nicht mal etwas davon.

Im rauen Arbeitsalltag kann es durchaus auch mal zu Wortgefechten mit den verschiedenen Abteilungen kommen - denn dann kommt die Marketing-Abteilung daher und sagt "Die Technische Dokumentation ist nur dann sinnvoll, wenn sie für unsere Firma wirbt und muss daher viel mehr in Richtung Marketing ausgerichtet werden".

Das ist übrigens für den Redakteur immer noch besser als vom Vertrieb zu hören "Die Doku? Kostet uns nur unnötig Geld - und unser Kunde wirft sie sowieso mit dem Verpackungsmaterial weg."

Fakt ist…

Technische Dokumentation ist gesetzlich vorgeschrieben und muss daher auf jeden Fall erstellt werden und auch als Benutzerinformation an den Nutzer gegeben werden.

Schön wäre…

Die Technische Dokumentation nicht nur als "nüchternen" Text zu sehen, der sein muss. Das bedeutet unter Umständen eine enge Zusammenarbeit - nicht nur mit den Konstrukteuren - sondern auch mit Marketing und Vertrieb.

Denn wenn der Vertrieb dem Kunden schon eine schöne - und fachlich richtig gute - Anleitung an die Hand gibt und damit werben kann, wird auch die Arbeit der Technischen Redaktion mehr geschätzt.